Dienstag, 08. Oktober 2024

Interview mit Dr. phil. Tobias Hayer: Der Glückspiel­staatsvertrag und das Automatenspiel – Teil 1

Dr. Tobias Hayer|Straße

Die Redaktion von CasinoOnline.de Nachrichten hat sich mit Dr. phil. Tobias Hayer unterhalten. Der Diplompsychologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Psychologie, Arbeitseinheit Glücksspielforschung, der Universität Bremen.

CasinoOnline: Guten Tag, Herr Dr. Hayer, und vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, einige Fragen für CasinoOnline.de Nachrichten zu beantworten.

 

Der Glücksspielstaatsvertrag ist in aller Munde. Wir sind an Ihrer Meinung zum Spielerschutz und zum Spiel an stationären und virtuellen Slots interessiert.

Die Gesetzgebung

CasinoOnline: Wie sehen Sie den neuen Glücksspielstaatsvertrag und die darin verankerten Spielerschutz-Maßnahmen? Aus der Spielerschutz-Perspektive, würden Sie sich noch strengere Maßnahmen wünschen und wie könnten diese aussehen?

Dr. Hayer: Insgesamt sehe ich den neuen Glücksspielstaatsvertrag aus der Perspektive eines Suchtforschers kritisch. Auf der einen Seite geht die deutschlandweite Legalisierung des Online-Glücksspiels mit einer deutlichen Erhöhung der Spielanreize und damit letztlich auch der Suchtgefahren einher. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen einen assoziativen Zusammenhang zwischen der Teilnahme am Online-Gambling und dem Vorliegen glücksspielbezogener Probleme. Auf der anderen Seite darf bezweifelt werden, ob die ebenfalls

Dr. Tobias Hayer

Dr. Tobias Hayer zur Glücksspielregulierung in Deutschland (Bild: Kai Uwe Bohn / Universität Bremen Hochschulkommunikation)

verankerten Maßnahmen des Spielerschutzes tatsächlich ihre volle suchtpräventive Wirkung entfalten können.

Die Heraufsetzung des Einzahlungslimits auf bis zu 30.000 € im Monat oder das jeweils auf einen Anbieter begrenzte Früherkennungssystem stellen zwei konkrete Beispiele dar, die an sich – im Sinne des Spielerschutzes – gut gemeint sind, sich aber in ihrer konkreten Ausgestaltung als mangelhaft erweisen.

Unter dem Strich hätte ich mir einen grundsätzlich anderen Regulationsweg gewünscht. Es wäre angemessener gewesen, die einzelnen Online-Glücksspielformen – beginnend mit den potenziell risikoärmeren Varianten – schrittweise zuzulassen, immer begleitet durch eine wissenschaftliche Evaluationsforschung. Fällt diese im Kern negativ aus, hätten für die gefährlicheren Glücksspielangebote Verbote geprüft werden müssen.

CasinoOnline: Viele Maßnahmen zum Spielerschutz werden von Glücksspielern als grober Einschnitt in ihr Spielerlebnis aufgefasst.

Dazu gehören:

  • Die Fünf-Sekunden-Regel
  • Verbot progressiver Jackpots
  • Verbot des parallelen Spiels zweier oder mehrerer Automaten
  • Verbot der Auto-Play-Funktion

Bei in Deutschland nicht lizensierten Anbietern gab es bisher solche Maßnahmen kaum. Haben Sie Bedenken, dass diese Spielerschutzmaßnahmen zu einer geringeren Kanalisierungsquote auf den regulierten Markt führen könnten und daher Spieler zum Abwandern auf den Schwarzmarkt bewegen könnte?

Dr. Hayer: Zunächst einmal sind mir keine unabhängigen Forschungen aus Deutschland bekannt, die Ihre Eingangsthese stützen. Darüber hinaus möchte ich generell hinterfragen, warum die sogenannte „Re-Kanalisierung“ in Richtung regulierter Markt überhaupt notwendig erscheint. Offenbar ist es den Glücksspielanbietern in der Vergangenheit gelungen, aus der Illegalität heraus Fakten zu schaffen und Kund*innen aus Deutschland anzusprechen bzw. zu binden.

Spielautomaten

Welche Form der Glücksspielregulierung ist geeignet? (Bild: casinoonline.de)

Warum sie für dieses Verhalten jetzt auch noch mit einer Erlaubnis belohnt werden sollen, erschließt sich mir nicht. Zudem impliziert das Abwanderungsargument immer, dass die Dynamik des illegalen Marktes als Taktgeber für das Regulationsgeschehen fungiert.

Diese Argumentationsweise halte ich für irreführend und sogar gefährlich. Mir stellt sich in diesem Kontext primär eine andere fundamentale Frage: Mit welchen Strategien kann ich den illegalen Online-Glücksspielmarkt ausdünnen? Und diese Frage muss unabhängig vom spezifischen Regulationsansatz beantwortet werden, also sowohl im Falle eines Komplettverbots des Online-Glücksspiels als auch im Falle eines Multi-Konzessionsmodells sowie bei beliebigen Zwischenlösungen.

CasinoOnline: Der Bundesrat will das Rennwett- und Lotteriegesetz überarbeiten. Dies hätte möglicherweise zur Folge, dass die Einsätze der Spieler besteuert würden, was wiederum zu einer Senkung der Auszahlungsquote führen könnte. Dies dürfte das legale Automatenspiel weniger attraktiv für Spieler machen. Könnte dies dazu führen, dass Spieler wieder auf illegale Angebote ausweichen könnten? Und wie könnte eine geeignete Besteuerung des Glücksspiels aussehen?

Dr. Hayer: Als Suchtforscher ist meine Expertise in Sachen Steuerrecht im Allgemeinen sowie Steuerhöhe im Speziellen begrenzt. Allerdings gilt die Verbrauchssteuer in anderen Suchtfeldern wie Tabak und Alkohol als eine anerkannte (weil wirksame) Maßnahme der Gesundheitsförderung. Ob diese Erkenntnis Eins-zu-Eins auf den Glücksspielbereich zu übertragen ist, muss aufgrund mangelnder Evidenz bislang unbeantwortet bleiben.

Starlight Kiss Online Slot

Sollte das Glücksspiel besteuert werden? (Bild: casinoonline.de)

Unabhängig davon stellen im Rahmen der Verhältnisprävention vor allem Verfügbarkeitsbeschränkungen und Werberestriktionen – übrigens suchtmittelübergreifend – erfolgversprechende Ansätze der Suchtbekämpfung dar.

Schließlich möchte ich abermals betonen, dass die These des Abwanderungs- bzw. Ausweichverhaltens für mich nicht greift, sondern vielmehr ein Scheinargument verkörpert, um den Handlungsdruck in Richtung Liberalisierung zu erhöhen.

CasinoOnline: Bei landbasierten Spielstätten in Deutschland gibt es einen klaren Unterschied zwischen Spielhallen und Spielbanken. Während es in Spielbanken kaum Spielerschutzmaßnahmen gibt, die direkten Einfluss auf das Spielerlebnis haben (z.B. Einzahlungslimits, Höchstgewinne, Spielpausen), müssen sich die privaten Betreiber von Spielhallen an strengste Auflagen halten.

 

Nun soll dieses Konzept auch auf den Online-Markt übertragen werden. Wie beurteilen Sie diese Lösung? Welche Konsequenzen hätte dies für Online- Casinoangebote deutscher Spielbanken?

Dr. Hayer: In der Tat unterscheidet sich das Game Design von den Glücksspielautomaten der Spielbanken und den Geldspielautomaten der Spielhallen bzw. Gaststätten in einigen Punkten erheblich. Interessanterweise gibt dennoch das Gros der glücksspielsüchtigen Personen im Hilfesystem an, Probleme im Zusammenhang mit den Geldspielautomaten entwickelt zu haben. Erklärbar wird dieser Umstand unter anderem über die bereits erwähnte Variable der Verfügbarkeit:

Während in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 70 Spielbanken geöffnet hatten, konnte das gewerbliche Automatenspiel in rund 9.000 Spielhallen und in bis zu 50.000 gastronomischen Betrieben nachgefragt werden. Genau dieser Aspekt stimmt unter suchtpräventiven Gesichtspunkten beim omnipräsenten Online-Glücksspiel ebenfalls bedenklich.

Spielautomaten

Das Glücksspiel ist in Deutschland beliebt. (Bild: pixabay.com)

Daneben schafft die Einführung eines Multi-Konzessionsmodells im Online-Segment eine Konkurrenzsituation zwischen einer Vielzahl von Anbietern. Im Zuge des Kampfes um Marktanteile wird zur Gewinnung von Kund*innen nach dem Prinzip „schneller, höher, weiter“ agiert, inklusive einer expansiven Bewerbung der eigenen Produkte.

Substanzielle Bemühungen um die Suchtprävention sowie den Spielerschutz stellen hier einen Wettbewerbsnachteil dar und dürften im Hintergrund verbleiben.

Sofern eine Öffnung des gesamten Online-Glücksspielmarktes von Seiten der Politik erwünscht ist, wäre eine Etablierung von monopolartigen Strukturen auch im Internet die bessere Alternative gewesen. Die Einrichtung einer einzigen legalen Plattform mit einem hinreichend attraktiven Glücksspielangebot böte den grundlegenden Vorteil, dass Eingriffe in das Marktgeschehen mit dem Ziel der Suchtprävention unmittelbarer und zielgerichteter möglich sind. In der Folge würden sich auch Ihre Fragen, die sich letztlich auf konkurrierende Marktsegmente beziehen, erübrigen.

Teil 2 unseres Interviews mit Dr. Hayer finden Sie hier.

In Bezug auf ein Monopol gehen die Auffassungen in der Glücksspielbranche weit auseinander. Während einige Länder versuchen, ihr Monopol aufrechtzuerhalten, gehen andere Länder, zum Beispiel Großbritannien, einen anderen Weg. Dort gibt es eine große Anzahl lizenzierter Glücksspielanbieter, die jedoch sehr strengen regulatorischen Anforderungen im Hinblick auf den Spielerschutz unterliegen. Selbst in Ländern, in denen versucht wurde, eine Monopolstruktur aufrechtzuerhalten, werden mittlerweile andere Modelle eingeführt. Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Bemühungen der österreichischen Regierung, das Glücksspiel im Land neu zu regulieren.