Donnerstag, 25. April 2024

Mindestabstandsregelung in NRW ohne gesetzliche Grundlage

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Das Grundgesetz dient unter anderem dem Schutz der Berufsfreiheit, auch im Bezug auf Wettbürobetreiber. (Bildquelle)

Das Oberverwaltungsgericht im westfälischen Münster hat entschieden, dass die kontroverse Mindestabstandsregelung von 200 Metern Luftlinie einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt. Demnach gebe das Gesetz es nicht her, den Betrieb von Sportwettbüros zu untersagen, wenn sich in einem Umkreis von 200 Metern eine Kinder- oder Jugendeinrichtung befindet. Anlass war eine Untersagungsverfügung der Stadt Schwerte im Ruhrgebiet, die den Betrieb eines Wettbüros auf Grundlage der Glücksspielverordnung NRW unterbinden wollte. Das Gericht gab an, die entsprechende Passage der Glücksspielverordnung beruhe auf keiner ausreichenden Legitimation durch den Landesgesetzgeber. Vielmehr sei sie ohne Ermächtigung durch den Innenminister von NRW erlassen worden. Münster bestätigt damit die Einschätzung des vorgeschalteten Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen.

Stadt Schwerte scheitert mit wiederholter Untersagungsverfügung

Das Bild zeigt das OVG in Münster.

Das Oberverwaltungsgericht in Münster entschied den Fall am 29.03.2017. (Bildquelle)

Konkret geht es um ein Wettbüro in Schwerte, dem mit Verweis auf das Gesetz wiederholt die Nutzungsgenehmigung versagt wurde. Grund dafür seien ein Kindergarten sowie ein Kinderhort in knapp 200 Meter Entfernung zur Wettstelle. Nachdem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Ablehnung unter Angabe dieser beiden Einrichtungen nicht bestätigte, ließ man der Betreiberin in Schwerte eine zweite Untersagungsverfügung zukommen, diesmal mit Verweis auf die Errichtung eines Wohnprojekts für minderjährige Flüchtlinge in einem Umkreis von ca. 50 Metern ihres Wettbüros. Auch diese Verfügung wurde vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Angeführt wurden unter anderem die genehmigten Investitionen der Betreiberin in ihr Wettbüro durch das Bauamt sowie das erst nachträglich entstandene Wohnprojekt. Das Argument der Stadt des nicht gegebenen Bestandsschutzes aufgrund einer fehlender Konzessionen des Wettbüros wies das Gericht ebenfalls ab. Nachdem 2012 das Sportwettenmonopol zwar abgeschafft wurde, seien bisher immer noch keine neuen Lizenzen vergeben worden. Die Stadt Schwerte hatte infolgedessen ein Beschwerdeverfahren gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen angestrebt, das nun am 29. März 2017 vom 4. Senat in Münster zum Nachteil des Klägers entschieden wurde.

Unrechtmäßige Verordnung lässt Gericht zweifeln

Zankapfel ist Paragraf 22 Absatz 1 der nordrhein-westfälischen Glücksspielverordnung, das sogenannte Erlaubnisverfahren. Im Wortlaut heißt es dort:

„Die Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen darf nur erteilt werden, wenn die Wettvermittlungsstelle einen Mindestabstand von 200 Metern Luftlinie zur nächstgelegenen Wettvermittlungsstelle und zu öffentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht unterschreitet.“

Paragraf 22 war am 8. März 2013 per Verordnung zur Änderung der GlücksspielVO NRW ins Gesetz aufgenommen worden. Unterzeichner und Verordnungsgeber ist Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales des Landes NRW. Das Oberverwaltungsgericht ist jedoch der Ansicht, dass der nordrhein-westfälische Landtag als parlamentarischer Gesetzgeber des Landes keine Ermächtigung zum Erlass einer solchen Verordnung zur Einschränkung der Berufsfreiheit erteilt habe. Aus diesem Grund könne § 22 nicht als Legitimation für eine Untersagungsverfügung herangezogen werden.

Berufsfreiheit geht vor

Ausschlaggebend ist, dass die Verordnung des Innenministers das Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit von Wettbürobetreibern nach Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzt. Diesem komme eine so große Bedeutung und Schutzwürdigkeit zu, dass der Landtag Dritte nicht zu seiner Einschränkung ermächtigen kann. Wortwörtlich heißt es in der Urteilsbegründung:

„Sonstige Bestimmungen über die „Lage“ der Wettvermittlungsstätten sind dem Verordnungsgeber in Nordrhein-Westfalen gerade nicht übertragen worden.“

Mit dieser Auffassung geht einher, dass der Innenminister als Verordnungsgeber nicht gesetzeskonform gehandelt haben kann. Das Gericht führte zum Paragrafen 22 weiter aus:

„Diese Vorschrift dürfte, sowie sie Mindestabstände von Wettvermittlungsstellen  zu Schule sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe regelt, nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen und damit die Berufsausübungsfreiheit von Wettbürobetreibern nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.“

Ländergerichtsbarkeit ausgeschöpft

Das Oberverwaltungsgericht ist die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Länderebene. Sein Beschluss ist endgültig und unanfechtbar. In Einzelfällen ist lediglich eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich. Dieses untersucht den Fall nicht inhaltlich auf Tatsachenebene, sondern lediglich auf formale Rechtsfehler hin. Damit stellt die Revision im Gegensatz zur Berufung das für den Kläger ungünstigere Rechtsmittel dar und hat weniger Aussicht auf Erfolg. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichtsauf ist wegweisend für laufende Nutzungsgenehmigungsverfahren für Wettvermittlungsstellen in Nordrhein-Westfalen. So wird in dem Urteil darauf hingewiesen, dass aktuelle Verfahren gegen Wettbüros in NRW zukünftig nicht mehr unter Berufung auf § 22 negativ entschieden werden dürfen.