Donnerstag, 25. April 2024

Drastischer Kurssturz bei Wirecard: Beruhen die Betrugsvorwürfe auf Tatsachen?

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Die Aktie des insbesondere bei Online Casinos beliebten Zahlungsdienstleisters Wirecard erholt sich. Nach Medienberichten über Betrugsvorwürfe war der Kurs am Mittwoch zeitweise um knapp 25 % eingebrochen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Unternehmen unlauterer Praktiken verdächtigt wird. Aber was steckt wirklich dahinter?

Wirecard: Das Börsen-Stehaufmännchen

Nach einem turbulenten Mittwoch können die Verantwortlichen des deutschen DAX-Unternehmens Wirecard heute wieder ein wenig aufatmen: Die Aktie des Finanzdienstleisters startete zu Handelsbeginn am Donnerstag mit rund drei Prozent im Plus bei 150,10 Dollar. Keine Selbstverständlichkeit, denn nur wenige Stunden zuvor hatte die Aktie massive Verluste hinnehmen müssen: Ihr Wert fiel in den Nachmittagsstunden binnen kurzer Zeit von 165 auf 131 Euro. Bei Handelsschluss betrug das Minus noch 13 %.

Wirecard ist ein weltweit im Bereich Finanz- und Technologiedienstleitung tätiges Unternehmen. Gegründet wurde der nahe München ansässige Konzern 1999, im Jahr 2006 wurde er in den TecDAX aufgenommen, seit September 2018 ist er im DAX vertreten.

Kerngebiet von Wirecard sind Lösungen für den elektronischen Zahlungsverkehr. Davon profitieren seit bereits Jahrzehnten auch diverse Betreiber von Online Casinos, die Rechnungsabwicklung und Risikomanagement an Wirecard outsourcen.

Auslöser für den plötzlichen Absturz scheint ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der Financial Times (FT) gewesen zu sein, der schwere Vorwürfe gegen das Fin-Tech-Unternehmen erhoben und so für Beunruhigung unter den Anlegern gesorgt hatte. Der Artikel der FT bezog sich auf Aussagen eines Whistleblowers und die Auswertung vertraulicher Dokumente. Er legte den Verdacht nah, ein Wirecard-Manager habe sich im Kontext von Geldwäschegeschäften strafbar gemacht:

Der Mann, der in leitender Position für Wirecard in der Region Asien-Pazifik zuständig ist, soll im Zentrum eines Komplexes stehen, der für das Verschieben von rund 37 Millionen Euro zwischen Wirecard-Tochterunternehmen und externen Firmen verantwortlich sein soll. Angeblich geht es um ein komplexes System von gefälschten Verträgen, die die dubiosen Geldflüsse verschleiert haben sollen.

Nach Angaben der Financial Times wurden die verdächtigen Transaktionen im Mai 2018 von der Compliance-Abteilung des Finanzdienstleisters aufgedeckt und dem Vorstand kommuniziert, laut Whistleblower habe dies aber zu keinerlei Konsequenzen geführt.

Wirecard veröffentlicht Dementi

Wirecard reagierte umgehend auf den Artikel, der bereits kurz nach Veröffentlichung weite Kreise gezogen hatte. In einem offiziellen Statement wies das Unternehmen die Anschuldigungen scharf zurück und verurteilte die Medienberichterstattung als „ungenau, irreführend und diffamierend“:

Es ist offensichtlich, dass der Journalist mit falschen Informationen versorgt wurde. (…) Die Grundlage für den Artikel und die Behauptungen ist sachlich falsch.

So bestünden keinerlei vertragliche oder geschäftliche Verbindungen zwischen Wirecard und dem im Bericht genannten Unternehmen. Auch die angeblichen Compliance-Vorgänge rund um Rechnungslegungspraktiken und das persönliche Verhalten des betreffenden Asien-Managers hätten nie stattgefunden. Man nehme gesetzliche Vorgaben sehr ernst und unterziehe sich selbst regelmäßig strenger interner und externer Prüfung, ließ das Unternehmen wissen.

Ein wiederkehrendes Muster?

Es ist nicht das erste Mal, dass Berichte über Unregelmäßigkeiten und dubiose Geschäfte bei Wirecard die Runde machen:

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Wirecard steht immer wieder im Zentrum von Verdächtigungen (Quelle:Wirecard AG, Schöpfungshöhe nicht erreicht)

Immer wieder führen angebliche Insider-Berichte zu massiven Werteinbußen, die der Konzern aber meist binnen kurzer Zeit ausgleichen kann. Beobachter gehen davon aus, dass es sich bei den urplötzlich verbreiteten Vorwürfen um gezielte Attacken gegen den Shootingstar der Online-Finanzabwickler und somit um Marktmanipulation handelt.

Das Muster soll dabei seit Jahren dasselbe sein: Eine bis dato weitestgehend unbekannte Quelle versorge Medien und Anleger mit angeblichen Interna des Konzerns, die auf betrügerische Aktivitäten hinwiesen, um den Kurs des Unternehmens einbrechen zu lassen.

Wirecard hatte bislang stets schnell auf derartige Veröffentlichungen reagiert und für eine Erholung der Aktie gesorgt.

Wirecard-Kurseinbrüche: Manipulationen aufgeflogen

Ein Beispiel datiert aus dem Juli 2008, als die damals noch im TecDAX gelistete Aktie der Wirecard AG nach Berichten zu angeblicher Bilanzfälschung plötzlich um über 30 % nachgab. In den folgenden Wochen musste der Konzern einen Verlust von knapp 70 % verkraften. Die Vorwürfe wurden im Folgenden von der von Wirecard beauftragten Wirtschaftsprüfungsagentur Ernest & Young vollständig entkräftet. In Umlauf gebracht worden waren sie unter anderem von der einflussreichen deutschen Aktionärsvereinigung Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK).

Später stellte sich heraus, dass Funktionäre der SdK und Manager der Privatbank Sal. Oppenheimer auf fallende Kurse bei Wirecard spekuliert hatten. Im Jahr 2012 wurden zwei hochrangige Vertreter der SdK wegen Kursmanipulation zu Haftstrafen verurteilt.

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Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Manipulationsverdacht (Quelle:User:mattes, gemeinfrei)

Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Februar 2016, als das bis dahin selbst unter Branchenexperten unbekannte Analyse-Unternehmen Zatarra Research & Investigation in einer Studie illegale Praktiken bei Wirecard ausgemacht haben wollte.

Der Markt reagierte, die Wirecard-Aktie stürzte um 25 % ab. Der Einbruch soll binnen Minuten einen Börsenwert von 1,3 Milliarden Euro vernichtet haben. Auch hier ergaben sich im Nachklang keine Hinweise darauf, dass die Anschuldigungen gerechtfertigt waren.

Im Dezember erließ die Staatsanwaltschaft München einen Strafbefehl gegen einen bereits wegen anderer umstrittener Börsengeschäfte auffällig gewordenen Geschäftsmann. Dieser soll der Herausgeber des veröffentlichten Berichtes gewesen sein. Somit seien die unbelegten Vorwürfe ein Fall von Marktmanipulation gewesen, erklärte eine Sprecherin.

Geschichte ist noch nicht abgeschlossen

Betrachtet man die Historie ähnlicher massiver Kursschwankungen im Kontext „Wirecard“, liegt der Verdacht nahe, auch der gestrige Einbruch könne einer gezielten Attacke geschuldet sein. Die Financial Times, die mit ihrem Bericht den Stein ins Rollen und Aktie zum Fallen brachte, hat sich bislang noch nicht weiter zu den Vorgängen geäußert.

Dafür meldete sich am Donnerstagvormittag die deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin zu Wort: Man untersuche, ob es sich bei den Vorgängen um eine mögliche Manipulation gehandelt haben könne, erklärte eine Sprecherin.