Der Film "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" zeigt das verruchte Milieu mit illegalem Glücksspiel im Wien der 1960er Jahre (Quelle: Vento Film).

Aufzeichnungen aus der Unterwelt: Das illegale Glücksspiel Stoß und die Wiener Gangsterwelt

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In den 1960er Jahren gab es in der österreichischen Hauptstadt Wien eine unruhige Unterwelt. Revierkämpfe verfeindeter Gangster und das illegale Glücksspiel „Stoß“ bestimmten das Geschehen. Der Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ gibt jetzt Einblicke in dieses Milieu.

Besonders spannend daran ist, dass zwei einst involvierte Akteure vor der Kamera auspacken: Der damalige Unterweltkönig Kurt Girk und sein Freund Alois Schmutzer, der Wienerlied-Sänger. Weil sie beide dem Kartenspiel „Stoß“ nahestanden, verbüßten sie lange Haftstrafen im Gefängnis.

Der Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ zeigt das Wiener Gangster-Milieu in den 60er Jahren

Kurt Girk und Alois Schmutzer sind Wiener Legenden. Die Filmemacher Tizza Covi und Rainer Frimmel teilen als Partner die Faszination für das Wien der 60er Jahre  mit seiner Unterwelt. Für ihren Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ haben sie Girk und Schmutzer lange begleitet und lassen sie als zentrale Figuren im Film zu Wort kommen.
 
In spannenden Erzählungen und Anekdoten gewähren der Unterweltkönig Alois Schmutzer und der Sänger Kurt Girk zwar Einblicke in die Welt der gewalttätigen Revierkämpfe und des illegalen Glücksspiels der damaligen Zeit, und doch bringen sie kaum Licht ins schummrige Dunkel. Denn oft stehen sich verschiedene Perspektiven gegenüber und neben den Protagonisten sagen beispielsweise auch Polizeibeamte aus.

Unterweltkönig Alois Schmutzer im Film "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" (Quelle: Vento Film).

Unterweltkönig Alois Schmutzer im Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ (Quelle: Vento Film).

Statt auf Wahrheit oder Unwahrheit kommt es beim Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ vielmehr auf die Erzählung selbst an. Die überwiegend in Schwarz-Weiß gehaltenen Aufnahmen zeigen Gespräche, die einen von Anfang an fesseln, wenn Schmutzer vorab behauptet: „Eine Wiener Unterwelt hat’s nie gegeben.“

Immer wieder tauchen Glücksspiel, Schießereien und Gewalt in „Aufzeichnungen aus der Unterwelt auf“, mindestens so oft geht es in den Erinnerungen der beiden Männer aber auch um Versöhnliches wie Freundschaft, Ehre und Stolz-dann wieder um Verrat. Dabei klingen Schmutzer und Girk immer wieder, als ob sie von einer glänzenden Zeit des Anstandes berichten und nicht von einer düsteren Halbwelt voll Verbrechen.

Die Glücksspiel-Gangster Girk und Schmutzer

Kurt Girk hieß eigentlich Kurt und wurde am 22. Mai 1932 in Wien geboren, wo er am 8. Februar 2019 verstarb. Seine Interpretationen als österreichischer Volksmusiksänger von sogenannten „Wienerliedern“ brachten ihm den Beinamen „Frank Sinatra von Ottakring“ ein. Ottakring ist der Wiener Bezirk, in dem Girk aufwuchs.

Der Wienerlied-Sänger Kurt Girk im Film "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" (Quelle: Vento Film).

Der Wienerlied-Sänger Kurt Girk im Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ (Quelle: Vento Film).

Seine enge Freundschaft zu Alois Schmutzer ließ auch Kurt Girk zu einer Größe der Wiener Unterwelt werden. Seine großen Hände und sein markantes Gesicht flößten Polizei und Gangster-Gegenspielern Furcht ein. Nach eigener Aussage ermöglichten die Erträge mit dem illegalen Glücksspiel Stoß Kurt Girk, sich dem Wienerlied zu widmen.

Alois Schmutzer und Kurt Girk waren in einen Postraub verwickelt und mussten dafür in den 1970er Jahren lange Zeit ins Gefängnis. Genau schlüsselt der Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ diese Geschichte nicht auf, allerdings stellen sich die beiden Männer, zumindest ihrem Gefühl nach, als unschuldig dar. Die Polizei der damaligen Zeit kommt nicht ehrbarer weg als die Gangster. Glaubt man den Darstellungen, so hat auch die Justiz nicht sauber gearbeitet.

Unterweltkönig Alois Schmutzer im Film "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" (Quelle: Vento Film).

Unterweltkönig Alois Schmutzer im Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ (Quelle: Vento Film).

Schmutzer und Girk haben den offiziellen Filmstart beide nicht mehr erlebt, sie sind vorher verstorben. Im Jahr 2020 hatte Schmutzer noch Gelegenheit, den fertiggestellten Film zu sehen. Auf der Leinwand leben die beiden weiter.

Das Glücksspiel „Stoß“

„Stoß“ gilt als verruchtes Kartenspiel, das vor allem mit dem Wiener Rotlichtmilieu assoziiert wird. Es zählt zu den verbotenen Glücksspielen, was seine Beliebtheit, vor allem in den 1960er Jahren zu Zeiten von Girk und Schmutzer, nicht unbedingt beeinträchtigt hat.

Das Spiel ist auch als „Meinte Tante, deine Tante“, „Naschi-Waschi“ oder „Schnitt“ bekannt und ist dem Pharo nicht unähnlich. „Stoß“ verwendet 32 Spielkarten mit doppeldeutschem oder französischem Blatt.

Das Glücksspiel "Stoß" verwendet ein französisches Kartenspiel mit 32 Blatt (Quelle: Vento Film).

Das Glücksspiel „Stoß“ verwendet ein französisches Kartenspiel mit 32 Blatt (Quelle: Vento Film).

Ein Spieler, der Bankerer, übernimmt die Rolle der Bank, die anderen Spieler setzen als Galerie dagegen. Als Tableau dienen zwei Bierdeckel aus Pappe, deren insgesamt acht Ecken mit A-K-7-8 und O-U-9-10 beschriftet werden, für As und König beziehungsweise Ober und Unter sowie die entsprechenden Kartenwerte.

Das Wort Galerie an sich bezeichnet auch die Wiener Unterwelt. Ein Photoalbum der Polizei mit Aufnahmen von Gangstern hieß damals ebenfalls Galerie, die Verbrecher Galeristen.

Das Glücksspiel "Stoß" verwendet ein französisches Kartenspiel mit 32 Blatt (Quelle: Vento Film).

Das Glücksspiel „Stoß“ ähnelt dem Kartenspiel Pharo (Quelle: Vento Film).

Der Bankerer zieht im Spielverlauf zwei Karten ab, die Schuss und Einwender genannt werden. Decken sich eine oder beide der abgezogenen Karten mit den acht Positionen des Tableaus, so verlieren die Einsätze auf die erste Karte. Die Einsätze auf die zweite Karte gewinnen 1 : 1. Einsätze auf die übrigen Werte können erhöht, aber nicht verringert werden. Nach 14 Abzügen startet eine neue Runde.

Die Stoß-Regeln sind mit Pharo vergleichbar, allerdings spielt man Pharo mit 52 Spielkarten. Ein großer Unterschied besteht im Bankvorteil, der beim Stoß bei 6,56 % liegt, bei Pharo jedoch nur 1,98 % beträgt.

Das Wien zur Zeit des „Wienerlieds“

Wienerlieder sind Volkslieder, die der Welt der Kleinkunst und Kleinbühnen der Stadt entstammen und im wienerischen Dialekt Wien und das Leben in der Stadt besingen. Die Ursprünge liegen um 1800, Blütezeiten waren aber vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre und eben nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zeiten von Alois Schmutzer und Kurt Girk. Einige wenige bekannte Namen der vielen Wienerlied-Interpreten und Sänger sind etwa Wilhelm Wiesberg, Carl Lorens, Oskar Hofmann, Gustav Pick, Georg Kreisler, Charlotte Ludwig oder Fritz Jellinek.

Der Film „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ hält nicht nur diese Liede und Musik in den Interpretationen von Girk fest, sondern auch Ausdrücke und Sprache Wiens der Zeit und des Milieus. Kostproben sind etwa:

  • Saugerl hieß einer, der den Stoß-Spielern zu Wucherzinsen Geld lieht
  • Schmierer war derjenige, der „Schmiere“ stand und vor der Polizei aufpasste
  • Packl heißt (auch heute noch) ein Duo aus Kontragitarre und Schrammelharmonika, das einen Wienerlied-Sänger begleitet
  • „Heeren S‘ Stoßspielen kann i in jedem Kaffeehaus. Brauch i net an‘ Baccarat-Tisch gehen…“ (aus „Der Travnicek“ von Carl Merz und Helmut Qualtinger)

Film-Steckbrief: „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“

Die Filmemacher Tizza Covi und Rainer Frimmel haben den österreichischen Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ mit ihrer eigenen Produktionsfirma Vento Film realisiert. Die Dreharbeiten fanden an 30 Drehtagen von April 2017 bis Oktober 2018 vor Ort in Wien statt. Die Filmmusik hat Kurt Girk interpretiert, der auch als Zeitzeuge vor der Kamera zu sehen ist. Die Weltpremiere des Films fand am 23. Februar 2020 auf der Berlinale in der Sektion Panorama Dokumente statt.

Der Film ist seit dem 30. Juni 2021 auf diversen Filmfestivals unter anderem auch im deutschsprachigen Raum zu sehen gewesen. Ab dem 10. September 2021 ist der österreichweite Kinostart. Vento Film plant eine lange Laufzeit im Kino in Österreich, sodass mit einem Erscheinen auf DVD sowie Streaming-Angeboten erst frühestens in einem halben Jahr zu rechnen ist.

  • Regie: Tizza Covi und Rainer Frimmel
  • Drehbuch: Rainer Frimmel
  • Kamera: Reiner Frimmel
  • Schnitt: Tizza Kovi
  • Details: Super-16mm, 1 : 1.66, Schwarz-Weiß und Farbe
  • Laufzeit: 115 Minuten
  • Produktion: Vento Film, Wien

Quellen:

  • https://www.ventofilm.com/
  • https://unterwelt.wien/
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Jakob Straub
Jakob Straub Casino Experte

Buchautor und Branchenexperte Jakob schreibt seit 5 Jahren für CasinoOnline.de

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