Freitag, 26. April 2024

Glücksspiel und Geldwäsche: NRW veröffentlicht Lagebild zur Clankriminalität

Panorama Düsseldorf|NRW-Innenminister Herbert Reul|Spielhalle Front

Bundesweit sehen sich Polizei und Justiz mit einer Vielzahl von Straftaten aus dem Umfeld türkisch-arabischer Großfamilien konfrontiert. Teil der kriminellen Aktivitäten ist auch der Bereich des legalen und illegalen Glücksspiels. Mit dem „Lagebild Clankriminalität“ legte Nordrhein-Westfalen nun als erstes Bundesland eine Analyse zu diesem speziellen Zweig der Organisierten Kriminalität vor.

„1.000 Nadelstiche“

In Nordrhein-Westfalen setzen die Behörden seit Dezember 2018 mit einer eigens gegründeten Taskforce auf eine „Politik der 1.000 Nadelstiche“ im Clan-Milieu. Vermehrt bekommen die Verdächtigen unangekündigten Besuch von Durchsuchungseinheiten. Dabei werden auch immer wieder Spielgeräte und Barbeträge beschlagnahmt.

Nun wurde mit dem Lagebild Clankriminalität die bundesweit erste offizielle Situationsbeschreibung vorgelegt. Der 30-seitige Bericht, den NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) gestern gemeinsam mit dem LKA in Düsseldorf vorstellte, beleuchtet den Zeitraum von März 2016 bis Oktober 2018.

Auch im Fokus: Wettbüros und Casino-Cafés, die der Szene unter anderem als Treffpunkte dienen, wie das „Lagebild Clankriminalität“ ausführt:

Ähnlich den Shisha-Bars bieten von Angehörigen türkischarabischstämmiger Familienclans betriebene oder kontrollierte Glücksspielstätten eine Basis für Kontakte zur Vorbereitung und Begehung von Straftaten. Darüber hinaus können über Manipulationen an Spielgeräten erhebliche Mittel erwirtschaftet werden, die im Einzelfall die Nutzer der Geräte, die Betreiber sowie den Fiskus schädigen. Die Investition in Glücksspielstätten oder in Wettbüros bietet zudem die Möglichkeit zur Investition kriminell erlangter Gelder in die Legalwirtschaft und damit die Grundlage für Geldwäschehandlungen.

Glücksspiel und Geldwäsche

Während Besucher von Casinos und Spielhallen nur hoffen können, einen Gewinn zu erzielen, stellt der Glücksspielsektor für unseriöse Anbieter ein garantiert lukratives Betätigungsfeld dar.

Spielhalle Front

Auch im Bereich der Spielhallen ist die Clankriminalität aktiv (Quelle:Wegavision, licensed under CC BY-SA 4.0)

Neben hohen Einkünften aus manipulierten und/oder unter dem Radar der Steuerbehörden aufgestellten Spielautomaten, bietet er Möglichkeiten der Geldwäsche wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich.

Letztendlich ist nicht nachvollziehbar, woher das Geld stammt, das in das Automatenspiel oder Sportwetten investiert wird.

Auch große Beträge können so in bar und binnen kurzer Zeit den Besitzer wechseln, ohne dass unangenehme Fragen beantwortet werden müssten.

So ist es nicht verwunderlich, dass hinter diversen legalen und illegalen Spielangeboten kriminelle Mitglieder einschlägig bekannter Großfamilien stehen. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, Gelder zu waschen, die in erster Linie aus dem Drogenhandel stammen.

104 Clans in NRW aktiv

Das vorgestellte Lagebild Clankriminalität wurde im Rahmen des Projektes „Kriminalitäts- und Einsatzschwerpunkte ethnisch abgeschottete Subkulturen – KEEAS“ von der EU ko-finanziert. Es verortet derzeit 104 Clans in Nordrhein-Westfalen.

Die Mitgliederzahlen der Großfamilien bewegen sich zwischen einer niedrigen dreistelligen Zahl und über 1.000 Personen.

Die Clan-Kriminalität in Deutschland wird von Experten oft auf die Folgen des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 zurückgeführt. Insbesondere in den 1980er-Jahren migrierte eine Vielzahl palästinensischer und libanesischer Familien nach Deutschland.

Ihr Aufenthaltsstatus blieb oft über Jahrzehnte unklar, weswegen viele der Erwachsenen keine Arbeitserlaubnis erhielten und viele Kinder nicht von der Schulpflicht erfasst wurden.

Heute geht man davon aus, dass diese Faktoren maßgeblich verantwortlich sind für das Entstehen der sogenannten Parallelgesellschaften mit eigenen Wertesystemen und erhöhter Delinquenz.

Epizentrum Ruhrgebiet

NRW-Innenminister Herbert Reul

Innenminister Reul sagt der Clankriminalität den Kampf an (Quelle:© Superbass / CC-BY-SA-4.0)

Rund 6.500 Verdächtige aus dem Milieu der Großfamilien sollen in den letzten zweieinhalb Jahren 14.225 Straftaten in NRW begangen haben. 381 von ihnen gelten als Mehrfachtäter.

Sie allein werden mit über 30 Prozent der in der Studie erfassten Straftaten in Verbindung gebracht. Über ein Drittel aller erfassten Delikte betreffen die Bereiche Raub, gefährliche Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung.

Besonders aktiv sollen die Clans laut Lagebild in den Metropolen des Ruhrgebiets sein.

Spitzenreiter mit 2.439 den Großfamilien im Betrachtungszeitraum zugeordneten Straftaten ist die 590.000 Einwohner-Stadt Essen. Es folgen Gelsenkirchen, Recklinghausen und Dortmund.

Kampfansage an die Clans

Doch mit der Dominanz der Clans soll nun Schluss sein, wie Innenminister Reul in Düsseldorf unmissverständlich betonte:

Jahrelang wurden die Hinweise der Bürger, aber auch aus Polizeikreisen zu diesem Problem geflissentlich ignoriert. Damit ist nun endlich Schluss. Das können Clans gern als Drohung oder als Kampfansage verstehen. Bei uns gilt nicht das Recht des Clans, sondern das Recht des Staates.

Klar ist, dass sich über Jahrzehnte gewachsene und gefestigte Strukturen nicht über Nacht allein mit der harten Hand ausradieren lassen, wie auch die Verfasser des Lagebilds Clankriminalität betonen.

Im letzten, mit „Perspektiven“ überschriebenen Abschnitt, weisen sie auf die Bedeutung hin, die der Präventionsarbeit in Bezug auf die aus Clanfamilien stammenden Kinder und Jugendlichen zukommt, um der Herausforderungen Herr zu werden.

Es sei wahrscheinlich, dass künftig umfassende Initiativen und gegebenenfalls Ausstiegshilfen notwendig würden. Deren Umsetzung aber werde einen immensen gesellschaftlichen Kraft- und Ressourcenaufwand erfordern, so die Experten.